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Abgeschlossene Forschungsprojekte Ritual und Kommunikation in den städtischen Gemeinden Griechenlands und in Rom

Sonderforschungsbereich 619, Teilprojekt B2: Ritualdynamik

Leiter: 
Prof. Dr. Christian Witschel
bis 31.05.2007: Prof. Dr. Angelos Chaniotis

Mitarbeiter:
Prof. Dr. Eftychia Stavrianopoulou
cand. phil. Péter Kató

Zusammenfassung:

Das Projekt untersucht die kommunikative Funktion von Ritualen in griechischen Städten (ca. 3. Jh. v. Chr. - ca. 3. Jh. n. Chr.). Zentrale Aspekte sind die Rolle von Ritualen bei der Kon-struktion von Identität, der Prägung hierarchischer Systeme, der Legitimation von Herrschaft und der Integration der Jugend, der Verhandlung von Veränderungen (Agency), der Wahr-nehmung von Ritualen und ihrer Übertragung in neue räumliche oder soziopolitische Kontexte (Ritualtransfer). Der Themenschwerpunkt "Analyse epigraphischer Zeugnisse über normative Eingriffe in Rituale" (B2.2) setzt die Untersuchung der ersten Förderungsphase fort. Im Rah-men dieses Projektes entsteht eine Datenbank, in der die relevanten Inschriften unter Berück-sichtigung des jeweiligen sozialhistorischen Kontextes und im Hinblick auf Ritualdynamik anhand von eigens zu diesem Zweck entwickelten Parametern analysiert werden (z.B. Ab-schaffung, Differenzierung, Erfindung, Verschriftlichung, Rekursivität, Handlungsmacht, Ritualexperten, Ästhetisierung, Inszenierung). Der Themenschwerpunkt "Das Rechtsritual der Fürbitte" (B2.4) untersucht die asymmetrische Kommunikation zwischen Parteien von unter-schiedlichem Status: das Anflehen einer Gottheit und das Ersuchen einer höher gestellten Autorität zwecks Erfüllung eines Gesuches. Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Entwick-lung des Rechtsrituals der Fürbitte als Transfer aus dem sakralen Ritual des Gebetes, seine Parallelität zu einer besonderen Gattung magischer Texte ("Gebete für Gerechtigkeit"), die Merkmale der konstitutiven verbalen Handlungen beim Vollzug des Rituals (das Absen-der-Empfänger-Gespräch, die Formen seiner rituellen Umsetzung, die Spanne zwischen Se-mantik und Performanz des Textes) sowie die Funktion des Rituals der Fürbitte speziell im Hinblick auf die Beilegung von Konflikten und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung. Ziel des Themenschwerpunkts "Ritualdynamik und Krieg in der hellenistischen Zeit" (B2.5) des beantragten Projektes ist, das Quellenmaterial über das vielfältige Verhältnis zwischen Ritual und Krieg zu sammeln und systematisch zu untersuchen. Folgende Phänomene der Dynamik von Ritualen werden u. a. berücksichtigt: die Einführung von "Alternativritualen" (z. B. Gottmenschentum) im Hinblick auf den Zweifel an der Existenz von Göttern, die Erweite-rung und prächtigere Gestaltung alter oder die Einführung neuer Feste anlässlich göttlicher Hilfe während eines Krieges, Ritualkritik und Zweifel an der Effektivität von Ritualen, die Spannung zwischen der Verpflichtung, traditionelle Rituale durchzuführen, und den Rah-menbedingungen, die Umgestaltung alter Rituale als Abwehrmittel im Krieg, der Ritualtransfer durch Soldaten, die Rolle traditioneller lebenszyklischer Rituale bei der Erzeugung von Ag-gressivität und Erinnerungsrituale.

Das Teilprojekt umfasst folgende Themenschwerpunkte:

§ B2.1. Rituale im öffentlichen Diskurs der Polis in der Kaiserzeit 
(Mitarbeiter: Stephan Hotz; abgeschlossen 06/2005):

Dieses Projekt befasst sich mit der Frage der Kritik an Ritualen und der Begründung bzw. Diskussion normativer Eingriffe. Die Wahrnehmung von Ritualen in der Kaiserzeit nahm verschiedene Formen an und führte zu verschiedenen Reaktionen, die von der antiquarischen Sammlung, Exegese und Wiederbelebung von Ritualen auf die Initiative von lokalen Gelehrten und Mitglieder der städtischen Elite bis hin zur Kritik, Ablehnung und Abschaffung reichen. Die kaiserzeitliche Literatur und einige Volksbeschlüsse bieten hierfür ausgezeichnete Quellen für die Auseinandersetzung mit Ritualen im öffentlichen Leben (Restaurierung, Abschaffung, Neugestaltung, Ästhetisierung, normative Eingriffe, argumentative oder legitimierende Funktion usw.), antike Versuche einer Differenzierung zwischen alten und neuen / eigenen und fremden / profanen und sakralen Ritualen.

§ B2.2. Wahrnehmung und Normativität: Rituale im öffentlichen Leben der griechischen Poleis im Hellenismus und in der Kaiserzeit 
(Mitarbeiter: Prof. Dr. A. Chaniotis / Prof. Dr. Eftychia Stavrianopoulou):

Aufgrund einer neuen Sammlung und Analyse der normativen Texte ("Kultgesetze") der hellenistischen Zeit und der Kaiserzeit werden verschiedene Aspekte der Rolle von Ritualen im öffentlichen Leben untersucht. Im Rahmen dieses Projektes entsteht eine Datenbank, in der die relevanten Inschriften unter Berücksichtigung des jeweiligen sozialhistorischen Kontextes und im Hinblick auf Ritualdynamik anhand von eigens zu diesem Zweck entwickelten Parametern analysiert werden (z.B. Abschaffung, Differenzierung, Erfindung, Verschriftlichung, Rekursivität, Handlungsmacht, Ritualexperten, Ästhetisierung, Inszenierung).

§ B2.3. Sakraler Raum und Ritual im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit: Normative, ritualbedingte Eingriffe in die Funktionalität, Ausstattung und architektonische Gestaltung von Heiligtümern 
(Mitarbeiter: Dr. Joannis Mylonopoulos, abgeschlossen 09/2003):

Ziel des Projektes ist die systematische Sammlung und Auswertung archäologischer Zeugnisse über Baumaßnahmen in Heiligtümern, die mit normativen Eingriffen in Ritualen sowie mit von den epigraphischen und literarischen Quellen überlieferten Veränderungen der Kultpraxis zusammenhängen. Die einschlägigen materiellen Hinterlassenschaften umfassen Zeugnisse über die bauliche Ausstattung von Heiligtümern, Kultgeräte und Weihungen (Prunk- und Monumentalaltäre, Prozessionsstrassen, Räume für die Aufnahme und Beherbergung einer wachsenden Zahl von Kultteilnehmern, Inkubationsräume für Heilungssuchende, Banketträume, Tore, Bewässerungsanlagen, Räume für kulturelle Veranstaltungen und Wettkämpfe, Priesterhäuser, Haine, hypäthrale Räume, unterirdische Räume, Aufstellungspraxis von Weihungen). Im Lichte einer repräsentativen Zahl gut erforschter Heiligtümer wird untersucht, wie Änderungen in der Wahrnehmung und Konzeption eines Rituals zu baulichen Maßnahmen und zu Änderungen in der Ausstattung griechischer Heiligtümer von ca. 300 v. Chr. bis ca. 300 n. Chr. führen. Im Vordergrund des Projektes stehen der Ritual- und Kulttransfer im griechischen Kulturraum (Transfer von völlig neuen Kult- und Ritualformen im Rahmen von Akkulturationsprozessen, Filialgründungen von Heiligtümern), die Widerspiegelung von performativen Aspekten des rituellen Geschehens durch Bauformen (z.B. Säulenhallen für Zuschauer) und die Veränderung der kultischen Topographie von Heiligtümern durch Rituale der Macht.

§ B2.4. Das Rechtsritual der Bitte 
(Mitarbeiterin: Prof. Dr. E. Stavrianopoulou; seit 07/2005):

Dieses Projekt untersucht die asymmetrische Kommunikation zwischen Parteien von unter-schiedlichem Status: das Anflehen einer Gottheit und das Ersuchen einer höher gestellten Autorität zwecks Erfüllung eines Gesuches. Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Entwicklung des Rechtsrituals der Fürbitte als Transfer aus dem sakralen Ritual des Gebetes, seine Parallelität zu einer besonderen Gattung magischer Texte ("Gebete für Gerechtigkeit"), die Merkmale der konstitutiven verbalen Handlungen beim Vollzug des Rituals (das Absender-Empfänger-Gespräch, die Formen seiner rituellen Umsetzung, die Spanne zwischen Semantik und Performanz des Textes) sowie die Funktion des Rituals der Bitte speziell im Hinblick auf die Beilegung von Konflikten und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung.

§ B2.5. Ritualdynamik und Krieg in der hellenistischen Zeit (ca. 323 - 30 v. Chr.) 
(Mitarbeiter: Péter Kató; seit 01/2006):

Ziel des Projektes ist, das Quellenmaterial über das vielfältige Verhältnis zwischen Ritual und Krieg zu sammeln und systematisch zu untersuchen. Folgende Phänomene der Dynamik von Ritualen werden u. a. berücksichtigt: die Einführung von "Alternativritualen"" (z. B. Gottmenschentum) im Hinblick auf den Zweifel an der Existenz von Göttern, die Erweiterung und prächtigere Gestaltung alter oder die Einführung neuer Feste anlässlich göttlicher Hilfe während eines Krieges, Ritualkritik und Zweifel an der Effektivität von Ritualen, die Spannung zwischen der Verpflichtung, traditionelle Rituale durchzuführen, und den Rahmenbedingungen, die Umgestaltung alter Rituale als Abwehrmittel im Krieg, der Ritualtransfer durch Soldaten, die Rolle traditioneller lebenszyklischer Rituale bei der Erzeugung von Aggressivität und Erinnerungsrituale.